Nour Sokhon: «Matters of Grey» (2015 / 2023)
«Matters of Grey» ist eine Arbeit, die die Ideologien unserer heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Auswirkungen auf unsere Definition von Menschlichkeit hinterfragt. – Nour Sokhon
Nour Sokhon: «Revisiting: Hold Your Breath» (2018)
Director/Editor/Colorist: Nour Sokhon
Sound: Ziad Moukarzel & Nour Sokhon
Videography: Moath Habli & Lea Zraika
Light assistant: Doris Artemis Rehban
Dieser fiktive Film ermutigt Menschen, die Wegwerfkultur zu bekämpfen, insbesondere im Libanon. Die Geräuschkulisse spiegelt die Auswirkungen von Lärmbelästigung auf die abiotischen und biotischen Geräusche des marinen Lebensraum hat. – Nour Sokhon
Cynthia Zaven: «Kingdom» (2010 / 2022)
Camera: Marco Milan
Music: «Stilleflytande» by Sigbørn Apeland
Sound: Cynthia Zaven
«Wir waren zweitausend Passagiere, zusammengepfercht auf dem Deck einer Fähre, die für nicht mehr als ein paar hundert Passagiere bestimmt war. Wir fuhren um sechs Uhr morgens von einer Bucht im Norden ab. Um neun Uhr begannen sie, unser Schiff ins Visier zu nehmen.» Kingdom ist die Erinnerung an einen wiederkehrenden Traum nach einer 24-stündigen Fahrt hinaus aus Libanon zu Zeiten der syrischen Blockade im April 1989. – Cynthia Zaven
Im Videowerk «Bosque Marino» lässt uns Valentina Pini auf eine zunächst bizarr anmutende Szenerie blicken: Eine organische Struktur tastet, wandert, schlängelt sich um den Körper eines hölzernen Tisches. Pini stellt uns hier den Riesentang «Macrocystis pyrifera» vor, den sie während ihres Aufenthalts in Chile entdeckte, wo man ihn «Huiro» nennt. Mit seinen durchschnittlich 45 Metern ist er das grösste festsitzende Meeres-Lebewesen und bildet riesige Unterwasserwälder von Alaska bis zu den Künsten Südamerikas. Die «Huiro» ist eines jener Naturerzeugnisse, die massenweise vorhanden sind, für den aber (noch) kaum eine Verwendung in der Industrie und dem Finanzmarkt gefunden wurde. Im Gegensatz dazu verweist der Tisch im grossbürgerlichen Stil auf Chiles Holzwirtschaft und deren globalen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ästhetischen Verbindungen. In «Bosque Marino» choreografiert Pini einen Tanz zwischen zwei gewachsenen Materialien, die völlig verschiedene Beziehungen zur Menschheitsgeschichte ausweisen. Die Inszenierung, in der sich Entfremdung und Altbekanntes ineinanderweben, weckt die haptischen, organischen und animistischen Eigenschaften der Dinge. Das Video wird von einem Klangwerk von Micha Seidenberg begleitet, das die Personifizierung der Materialien und damit den Sog ins Gesamtwerk verstärkt. Der Komponist entwickelt Computerprogramme sowie Strategien der Notation, die es ihm ermöglichen, Klänge als rohen Tonblock darzustellen, die er einzeln modellieren kann. Jeder Klang ist ein ephemeres Unikat, womit sich das unheimliche Gefühl zwischen Erwartung und Erfüllung, Bekanntem und Unbekanntem, Leben und Chaos im Gesamtwerk verstärkt. So schafft Seidenberg einen Soundtrack, der die Themen, Formen und Erzählstrukturen des Films eingeht, neue Blickwinkel darauf eröffnet, und dessen Konturen akzentuiert und schärft. Die Ausstellung wird mit Installationen erweitert, die die Bilder mit farbigen Strukturen und neongelbem Licht kombiniert. In dem Pini die gebauten Konturen des KOBO Art Space thematisiert, befragt sie spielerisch den architektonischen Ausstellungsraum. Für die Bilderserie wählte Pini die Fotogramm-Technik, bei der ein Bild durch das direkte Anbringen von Objekten auf lichtempfindlichem Papier und einer Lichtquelle erzeugt wird. Ein heikles Verfahren, da die Künstlerin teilweise im Dunkeln arbeiten muss und die Bildkomposition nur intuitiv beeinflussen kann. Hier spielt das Licht die Rolle der Dirigentin. Es macht eine neue materielle Realität von Alltagsgegenständen, Lebensmitteln und Texturen sichtbar und verleiht ihnen eine Komplexität und Ästhetik, die zwischen schön-seltsam und seltsam-schön schwankt. So verfolgt Pini auch hier eine Strategie der Entfremdung. Sie verwandelt die Dinge in disruptiv-skurrile und zugleich beseelte Objekte und modifiziert somit deren antizipierte Funktionen und verwischt die Grenze zwischen Objekt und Material. Schliesslich ergänzt die Künstlerin ihre Schau mit einer, in die vorhandene Raumarchitektur eingreifenden Installation: In der für Bürogebäude typischen Neonlicht-Abdeckung in der Decke zwischen den beiden Ausstellungsräumen, kombiniert Valentina Pini farbiges Neonlicht mit Objekten aus Kunststoff, deren Formen und Strukturen zwischen Algen und Darmwürmern, Kartoffel- und Manda-rinenschalen, Luftpolster und Filmband oszillieren. Die Künstlerin lässt uns hier bewusst ratlos zurück, schwebend zwischen möglichen Definitionen und Kategorisierungen, die sich nicht festhalten lassen. Somit lässt uns die Künstlerin im Licht der Ambivalenz schwimmen und eröffnet eine Begegnung mit dem Anderen, mit dem Unbehagen eines unerwarteten Vorhandenseins. Pinis und Seidenbergs Werke erzählen uns von Begegnungen zwischen Fremdartigkeit und Gewohnheit, bürgerlichem Design und viskosen Wesen, Sciencefiction und Alltag und eröffnen uns Welten, in denen wir lernen unsere Positionen, Gefühle und Beziehungen zu befragen.
Text: Viviane Mathis und Gaël Sapin